Brauchen wir wirklich eine zertifizierte Ausbildung für PSAgA-Trainer?
Ein Praxisbericht aus über 18 Jahren Arbeiten in der Höhe – und mit Menschen
Ich arbeite seit mehreren Jahren als Trainer für persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz – kurz: PSAgA.
Meine Einsatzorte reichen von Hochregallagern über Mobilfunkmasten bis hin zu Rohrbrücken in Chemieparks – deutschlandweit,
manchmal sogar europaweit. Dieses Jahr stand sogar ein Training in Dänemark und auf englisch auf dem Plan.
Arbeiten in der Höhe, Verantwortung für Menschen, Unterweisungen zu Sicherheit und Risiko – das begleitet mich seit fast zwei Jahrzehnten.
In den letzten Jahren ist mir immer stärker aufgefallen:
Wir reden in der Branche viel über Zertifikate, weniger über die innere Haltung.
Daher die Frage: Brauchen wir eine einheitlich zertifizierte Ausbildung für Trainer im Bereich PSAgA?
Oder zählt am Ende doch etwas anderes – nämlich Erfahrung, Menschenkenntnis und die Fähigkeit situativ reagieren zu können?
Theorie auf dem Papier – Praxis auf der Baustelle
Natürlich ist eine qualifizierte Ausbildung grundsätzlich sinnvoll. Eine dreitägige Schulung kann Grundlagen in Didaktik und Methodik vermitteln – keine Frage. Aber wer glaubt, dass man in 72 Stunden lernt, wie man Menschen in der Höhe sicher macht, der sollte sich mal fragen, ob er mit dieser Ausbildung selbst auf ein Gerüst steigen würde.
Denn das, was man in drei oder vier Tagen lernt, bleibt nur Theorie, wenn es nicht mit praktischer Erfahrung verknüpft wird.
Ich habe in den vergangenen Jahren unzählige Arbeitsumgebungen gesehen: Hochregallager, Mobilfunkstandorte, Industrieanlagen, Chemieparks.
Jede Umgebung bringt eigene Risiken und Menschentypen mit sich.
Ein Teilnehmer, der täglich mit Stahlträgern hantiert, braucht eine andere Ansprache als jemand aus der Logistik.
Und genau da trennt sich die Theorie von der Praxis:
Wer die Arbeitsrealität seiner Teilnehmer nicht kennt, kann die besten Folien haben – sie werden trotzdem nicht greifen.
Praxisnähe als Schlüsselfaktor
In meinen Trainings arbeite ich deshalb bewusst mit Material aus dem echten Leben. Verbindungs- und Anschlagmittel, die nach Monaten auf der Baustelle schon deutliche Gebrauchsspuren zeigen. Karabiner, die nicht bestimmungsgemäß genutzt wurden.
Diese Beispiele sprechen lauter als jede PowerPoint-Folie.
Wenn die Teilnehmer selbst sehen, was passiert, wenn man es „mal schnell“ macht, entsteht ein Lerneffekt, den kein Zertifikat der Welt ersetzen kann.
Das ist für mich gelebte Didaktik – aus der Praxis, für die Praxis.
Wie unterschiedlich Institutionen ticken
Interessant ist, wie verschieden die Wege sind, um Trainer überhaupt in die Ausbildung oder Lehre zu bringen.
Bei manchen Anbietern reicht eine Empfehlung, vielleicht noch ein Blick auf den Social-Media-Auftritt – und man ist im Boot.
Bei anderen wiederum zieht sich der sogenannte Onboarding-Prozess über neun bis zwölf Monate:
Videocalls, Laufzettel, unbezahlte Hospitationen, Simulationen mit Menschen, die selbst noch nie eine Unterweisung geleitet haben.
Dazwischen: E-Mails, die erst nach zwei Wochen beantwortet werden, weil „jemand im Urlaub“ ist.
Und das alles, um am Ende einmal vor einer Gruppe zu stehen – etwas, das man ohnehin seit Jahren täglich tut.
Manchmal frage ich mich, ob man hier wirklich Qualifikation prüft – oder nur Geduld.
Was wirklich zählt
Ich bin überzeugt: Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Vertrauen in Erfahrung.
Natürlich soll jeder Trainer fachlich kompetent sein, keine Frage.
Aber die wichtigste Fähigkeit ist und bleibt: Menschen erreichen zu können.
Das lernt man nicht in einer Online-Simulation, sondern im direkten Kontakt – in Hallen, auf Baustellen, an echten Arbeitsplätzen.
Denn Arbeitssicherheit ist kein Produkt, das man zertifizieren kann.
Sie lebt von der Haltung der Menschen, die sie vermitteln.
Fazit
Eine einheitliche Qualifizierung könnte helfen, Standards zu schaffen – aber sie darf nicht zur Formalie verkommen.
Arbeitssicherheit ist kein Selbstzweck und keine Pflichtübung, sondern Schutz für reale Menschen in realen Situationen.
Ein erfahrener Trainer mit Praxisblick, Empathie und gesundem Menschenverstand bewirkt am Ende mehr als jedes Zertifikat.
Oder, um es etwas zugespitzter zu sagen:
Lieber ein Trainer mit Dreck an den Handschuhen als hundert Zertifikate am Schrank.
